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Die Sappho für den Graf von
Schack und weitere Aufträge
Einen großen Teil der sechziger Jahre
verbrachte Dreber mit der Planung und
Ausführung der sechs großen Gemälde
für die Villa Wesendonck in Zürich. Gleich-
zeitig arbeitete er an fünf weiteren größe-
ren Gemälden, die er zum Teil schon vor
Jahren begonnen, sie aber immer wieder
zur Seite gestellt hatte, um sich später
von Neuem mit ihnen zu beschäftigen.
Aus diesem Grund ist es schwierig den
zeitlichen Ablauf seiner Arbeiten aus die-
ser Schaffensperiode zu rekonstruieren.
Friedrich Preller d. J. (1838 –1901), der mit
seinem Vater Friedrich Preller d. Ä. (1804–
1878) 1859 nach Rom gekommen war und
ein Schüler von Dreber wurde, berichtet
in seinen Tagebüchern: „Damals, als wir
ihn (sc. Dreber) zuerst besuchten, hatte
er mehrere verschiedenartige Bilder unter
Hand: eine Skizze zu „Sappho“, die später
für die Galerie Schack ausgeführt worden
ist, […] eine Landschaft mit Ruth und Boas
[…] und eine große Komposition nach Mo-
tiven des Sabinergebirges. Diese fesselte
uns am meisten. Der Gesamtcharakter je-
nes malerischen Stücks Erde war mit über-
zeugender Treue zum Ausdruck gebracht.
Es schien nur wenig an der Vollendung zu
fehlen. Dennoch ist das großartige Kunst-
werk als verloren zu betrachten. Dreber
änderte im Laufe der Jahre immer wieder
daran, bis er, krank und ermüdet, es end-
lich für fertig erklärte und nach Deutsch-
land schickte. Unsere Bemühungen, es für
Weimar oder Dresden zu gewinnen, schei-
terten, da es allerdings durch wiederholte
Übermalung ziemlich trüb und für seinen
Umfang wirkungslos geworden war, wenn
auch die großen Qualitäten, die es besaß,
noch immer zur Geltung kamen. Schließ-
lich ließ es der Künstler nach Rom zurück-
kommen und im Verdruß über den Miß-
erfolg ging er leider von neuem daran und
strich es derart zusammen, daß es beinahe
ungenießbar wurde“ (33, S. 56 ff.).
Ein vergleichbares Schicksaal hätte bei-
nahe Drebers Gemälde „Sappho“ ge-
nommen. Der Schriftsteller und Kunst-
sammler Adolf Friedrich Graf von Schack
(1815 –1894) hatte bei einem Besuch 1864
in Drebers Atelier den ersten Entwurf der
„Sappho“ gesehen und den Künstler mit
einer größeren Version des Bildes beauf-
tragt. Graf von Schack schreibt in seinem
Buch „Meine Gemäldesammlung“: „ [...] er
(sc. Dreber) setzte indes hinzu, daß bis zur
Vollendung des Gemäldes Jahre vergehen
würden. Er war von ernstem Eifer beseelt,
etwas möglichst Vollkommenes zu leisten.
Nachdem er mehrere Jahre unermüdeten
Fleißes der Sappho gewidmet hatte, er-
klärte er plötzlich, er verzweifele daran,
seine Arbeit zu Ende zu führen; kein Zure-
den half: er tat lange keinen Pinselstrich an
dem Bilde. Zum Glücke fand Dreber einige
Jahre später den verlorenen Mut wieder.
Preller bestimmte ihn bei einem Besuche
seiner Werkstatt, die aufgerollte Leinwand
hervorzuholen und sagte ihm so viel Lo-
bendes über sein Bild, daß seine Zaghaf-
tigkeit wich und er es nun mit rüstiger Kraft
in nicht allzu langer Zeit beendete. Dies ist
unter den günstigsten Sternen geschehen,
und ich darf das Schicksal dafür preisen;
denn Dreber hat hier so Vorzügliches er-
reicht, wie ich ihm selbst kaum zutraute,
und seine Sappho wird für immer ein rühm-
liches Denkmal seines edlen, von Erfolg ge-
krönten Strebens sein“ (34, S. 204 ff.). Wie
wir von Friedrich Preller d. J. wissen, hatte
Dreber den Entwurf „Felsenküste im Sturm
mit Sappho“ bereits 1859 ausgeführt (heu-
te in der Neuen Pinakothek in München).
Das vom Grafen Schack bestellte Bild in
deutlich größerem Format wurde erst 1870
vollendet und nach München geschickt
(Abbildung 14;dasGemäldebendetsich
in der Galerie Schack in München). Den Er-
halt bestätigt der Auftraggeber in einem
Brief vom 4. Juli 1870 an Dreber: „Ihre
Sappho ist wohlerhalten hier angelangt.
Das Bild gehört sicher zu den schönsten,
die in neuerer Zeit gemalt worden sind und
wird eine Zierde meiner Gallerie bilden.
Alle, die es noch gesehen haben, sind ent-
zückt davon“ (zitiert nach 19, S. 72). Dreber
hatte sich offensichtlich sehr lange mit dem
Sappho-Thema beschäftigt. Ob er zu dem
Gemälde durch das 1818 uraufgeführte
Trauerspiel Sappho von Franz Grillparzer
angeregt wurde oder durch die 1840 er-
schienenen „Übersetzungen aus griechi-
schen Dichtern“ von Emanuel Geibel und
Ernst Curtius, oder ob Dreber den Publius
Ovidius Naso zugeschriebenen ktiven
Brief Sapphos an ihren Geliebten Phaon
aus den Epistulae Heroidum kannte, ist
nicht überliefert. Fest steht jedoch, dass
die spätere Legende, Sappho habe sich
aus unerwiderter Liebe zu dem schönen
Jüngling Phaon vom Leukadischen Felsen
gestürzt, eine erstaunlich große Faszina-
tion auf die Künstler des 19. Jahrhunderts
ausgeübt hat, meistens als Variation des
Motifs einer verlassenen Frau. Von den
zahlreichen Sappho-Darstellungen der
Zeit unterscheidet sich das Bild Drebers
durch verschiedene wichtige Besonder-
heiten. Das Gemälde wird von einer fel-
sigen mittelmeerischen Küstenlandschaft
beherrscht, die allerdings durch das dem
Portrait vorbehaltene Hochformat auch der
Figur der trauernden Sappho Bedeutung
verleiht. Die im Vordergrund stehende Fi-
gur der Dichterin ist relativ klein gehalten
und ordnet sich, wie bei gürlichen Dar-
stellungen Drebers üblich, der sie umge-
benden Landschaft unter. Sappho ist als
RückengurdargestelltdiedenKopfleicht
zur linken Seite und nach unten neigt, so
dass ihr Gesicht verborgen bleibt, ein be-
reits in der Antike verwendeter Topos um
durch Verhüllung des Gesichts die Affekt-
darstellung zu verstärken. Ihr Gemütszu-
stand wird auch durch die zum gesenkten
Kopf erhobene linke Hand ausgedrückt
und vermittelt Verlassenheit und Trauer.
Mit der rechten Hand macht sie eine
Geste der Entsagung, die auf die am Al-
tar der Aphrodite niedergelegte Lyra und
den Lorbeer und damit auf das von ihr frei
gewählte Ende ihrer Dichtkunst verweist.
Noch steht Sappho auf Drebers Gemälde
auf sicherem Boden und ist etliche Schritte
vom Abgrund entfernt. Zudem scheint ein
schmaler Pfad nach rechts oben zwischen
steilen Felsen hindurch zu einem Tempel
auf der Spitze der Klippe zu führen, der
eine Rückkehr in das frühere Leben ermög-
lichen würde. Die dezisive Entsagungs-
geste der Sappho drückt aber aus, dass
die Zeit der inneren Kämpfe vorbei ist, ihre
Entscheidung, dem Künstlertum für immer
zu entsagen und den Freitod zu wählen ist
unumkehrbar.
In der ersten 1859 gemalten Version des
Gemäldes steht Sappho, jedoch ohne Al-
tar und Lyra, oberhalb einer felsigen Mee-
resküste mit aufgewühltem Meer und dun-
kel drohenden Wolken, in denen sich die
innere Erregung der kurz vor der Selbst-
tötung stehenden Dichterin widerspiegelt.
In der für den Grafen Schack gemalten
Version dagegen zeigt Dreber die Sappho
in gleicher Stellung in einer ähnlich auf-
gebauten felsigen Küstenlandschaft, doch
haben sich Meer und Himmel beruhigt.
Das in der Tiefe sichtbare graublaue glatte
Meer wird von einem hohen Sommerhim-
mel überwölbt und zu Füßen der Dichterin
blühen Blumen. Durch die Zurücknahme
der Farbigkeit zu Gunsten von Grautönen
liegt ein melancholischer Grundzug über
dem Bild. Wenn die Landschaft, wie in der
ersten Version, die innere Gestimmtheit
derProtagonistinreektiert,dannhatDre-
bers Sappho in der zweiten Fassung eine
innere Wandlung durchgemacht, sie ist
jetzt nicht mehr die von inneren Kämpfen
zerrissene Dichterin, sondern eine Frau,
die sich bereits klar entschieden hat. Sie